| von Fabian Bürkin

Hybride Architekturen:
Hybris oder Heilsbringer? (Teil 2)

Digitalisierung, Data Thinking und der Culture Change:
Dank Hybride Architekturen zur Data Driven Company!

Hybride Architekturen – Teil 2: Seit einiger Zeit geistert ein neues Einhorn durch die Business-Intelligence-Welt: Hybride Architekturen. In dieser Interviewreihe versuchen wir mit unserem Experten Nico Inhoffen, dieses Fabelwesen zu entmystifizieren, zu domestizieren und etwaige Pferdefüße zu identifizieren: Unter den Aspekten Technologie (Teil 1), Unternehmenskultur (Teil 2), geeignetem Einstieg (Teil 3) und den Protagonisten (Teil 4) beleuchten wir alle relevanten Details dieser neuen Architekturform. In diesem zweiten Artikel zu „Hybride Architekturen“ widmen wir uns Begriffen wie „Data Driven“, „Data Thinking“ oder „Data Lake“: Das Karussell der Anglizismen dreht sich fast genau so schnell wie das Innovationsrad der IT. Wir sind mit dem Duden dazwischen gegangen und bremsen die Geschwindigkeit des „Big Dada“ aufs Verständliche herunter. Es werde Licht.

Fabian: Hallo Nico, heute geht es um den großen Begriff des Data Thinkings: Im Rahmen unseres ersten Gespräches über hybride Architekturen sind wir ziemlich schnell darauf gestoßen, dass man diese Innovation keinesfalls als eine rein technologische sehen kann, sondern dass das Ganze auch mit dem entsprechenden Mindset steht und fällt. Kann man sagen, dass hybride Architekturen auch abseits der technologischen Komponente regelrecht einer neuen Epoche die Tür aufstoßen?

Nico: Ja, definitiv! Woodmark selbst kommt beispielsweise aus dem klassischen BI-Umfeld: Wir haben uns seit knapp 20 Jahren genau in der klassischen Welt und Denkweise bewegt und wissen bis ins letzte Detail, worauf es bei diesen klassischen Fragestellungen ankommt. Aber irgendwann haben wir erkannt, dass es jetzt neue und größere Anforderungen an Daten gibt und diese auch anders verarbeitet werden müssen. Bei hypothesengetriebenem Business muss man sich bereits vorher überlegen, welche Frage man hat und die zugehörigen Daten speichert man und kann dann diese Hypothese widerlegen, oder eben bestätigen. Bei Big Data ändert sich das aber zum sogenannten Data Driven Business, wie z.B. Uber: Das größte Taxiunternehmen, obwohl es kein einziges Taxi besitzt. Oder auch AirBnB: Vermietet die meisten Betten, aber hat kein einziges Hotel. Im Prinzip ist das ja immer das gleiche Geschäftsmodell: Diese Firmen verkaufen lediglich Daten; die Verbindung zwischen zwei Punkten und nicht die Punkte selbst.

Digitalisierung und Big Data im Ungleichgewicht

Fabian: Du hast jetzt gerade die Branchen angesprochen: AirBnB verortet sich in der Hotelbranche, Uber kommt aus der Taxi-Welt: Greift diese Dynamik der Digitalisierung in alle Bereiche oder denkst du, dass es spezielle Branchen gibt, bei denen man an hybride Architekturen mittlerweile gar nicht mehr vorbeikommt?

Nico: Ich glaube, dass der Big Data Gedanke generell vor keiner Industrie halt macht. Es gibt natürlich Industriezweige bzw. Firmen, die vorangehen, wie beispielsweise die allbekannten Data Driven Companies: Google, Facebook, Uber, etc. Aber auch Otto in Deutschland: Die sind ganz weit vorne mit dabei bezüglich Hadoop. Und bei dieser Evolutionsstufe braucht man eben unumstößlich einmal hypothesengetriebene DWHs und dann aber auch die Data Driven Data Lakes, nämlich hybride Architekturen! Big Data ist so eine große Veränderung für die Firmen, da ist es egal, ob man daran glaubt oder nicht: Big Data passiert. Und wenn man es jetzt nicht langsam die Potentiale von Data Lakes und Big Data nutzt, dann wird man in ein paar Jahren wirklich Schwierigkeiten haben, noch am Markt zu bestehen. Immer mehr wird mit den Daten gehandelt; Information ist Wissen.
Meiner Einschätzung nach macht diese Entwicklung auch nicht halt vor alteingesessenen Industriezweigen, wie zum Beispiel Autobauern. Auch die beschäftigen sich mit selbstfahrenden Fahrzeugen, extrem komplexen Algorithmen und einer enormen Anzahl an zu verarbeitenden Daten. Aber auch in klassischen Gewerben, wie der Metallindustrie oder dem produzierenden Gewerbe, wird die Digitalisierung auf kurz oder lang ankommen. Auch dort gibt es Maschinen, und jede liefert Sensordaten. I.o.T. ist hier das Schlagwort, ein Internet of Things, das permanent Sensordaten liefert. Und die müssen natürlich auch permanent ausgeliefert, gespeichert und ausgewertet werden. Gerade in der Praxis habe ich oft erlebt, dass zwar die Auswertung für einzelne Maschinen ohne Big Data funktioniert, aber ab einer bestimmten Anzahl von Maschinen wird es extrem kritisch. Natürlich macht sich der Hersteller Gedanken, wie man in der Maschine die Sensordaten anzeigen und kontrollieren kann, ob zum Beispiel die Temperatur in dem Bereich liegt, wo ich sie haben möchte. Das Problem tritt aber spätestens dann auf, wenn man mehrere Maschinen aus einem Werk oder sogar mehrere Werke miteinander vergleichen möchte: Da sind dann so viele Sensordaten, dass das schlicht nicht mehr möglich ist mit klassischen DWHs. Und da kommt man eben um den Bereich Big Data gar nicht mehr drum herum, da muss man dann eben noch eine andere Technologie zusätzlich zum DWH mit in die Gesamtarchitektur aufnehmen. Big Data ist so eine große Veränderung für die Firmen, da ist es egal, ob man daran glaubt oder nicht: Big Data passiert.

Fabian: Eine reine Interessensfrage von meiner Seite aus: Diese neuen Firmen, die jetzt gerade erst entstehen, du hast vorhin AirBnB oder Facebook genannt, hätten ja die Möglichkeit gehabt, direkt von Null an mit Big Data zu starten. Die Technologien waren damals ja schon existent. Weißt du, ob das versucht wurde, oder sind selbst die Kandidaten, die in Reinform auf Big Data hätten setzen können, beim DWH geblieben?

Nico: Also ich glaube, da muss man vorsichtig sein: Die perfekte Lösung ist nicht, nur ein Big Data System oder ein DWH zu haben. Ich weiß zwar nicht, wie die System-Landschaft bei AirBnB oder Facebook aussieht, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass auch die hybride Architekturen haben. Denn das klassische DWH hat nach wie vor seine Daseinsberechtigung. Wichtig ist nur, dass diese beiden Systeme sowohl kulturell als auch technologisch verknüpft sind.

Fabian: Wenn die hybride Architekturen ein Fußballspieler wären… (beide lachen) Wer wäre das? Beziehungsweise, wie würdest du sie bzw. ihn einsetzen und warum?

Nico: Ja, also ein Fußballspieler, ich weiß nicht. Sie ist vielleicht nicht nur als einzelner Fußballspieler, sondern als Team zu sehen, das extrem gut zusammenarbeitet. Ich glaube, es sind immer mehrere Akteure beteiligt anstatt einem einzelnen Player, der vieles kann. Wir haben technologisch das DWH, wir haben den Data Lake, aber speziell wenn man diese Metapher nutzt: Wir haben auch so viele menschliche Akteure, die daran mitarbeiten. Es gibt den DWH Experten, den Big Data Experten, den Architekten, den Data Governance Sheriff … Und alle diese Rollen müssen irgendwie besetzt werden. Deshalb glaube ich, dass es weniger ein einzelner Fußballspieler ist, sondern ein komplettes Team, das miteinander zusammen arbeitet. Da sollte man jetzt unbedingt die Chance nutzen, dass man die komplette hybride Architekturen oder halt die jeweilige Organisation neu aufhängt: Interdisziplinäre Teams erstellen und einen Neustart geben, um mit allen Altlasten brechen zu können. Es ist sehr viel einfacher mit einer neuen Abteilung neue Prozesse zu definieren als aus einer alten Abteilung heraus zu versuchen, jetzt etwas Neues zu starten. Die perfekte Lösung ist nicht, nur ein Big Data System zu haben.

Fabian: Bei deiner Empfehlung musste ich gerade an einen Referenten von Zalando denken, der bei der Tableau Marketing Konferenz einen Vortrag hielt: Die BI Abteilung von Zalando hat seit mehreren Jahren immer die gleichen Excel Berichte gemacht und konnte nichts daran verändern. Die zuständigen Leute haben sich dann gefragt, „Wie schaffen wir es, komplett Neues mit Tableau etablieren? Indem wir aufhören, etwas Altes zu tun!“. Und dann haben sie wirklich 2 Monate überhaupt keine Reports produziert, sondern sich nur auf einen reibungslosen Übergang konzentriert. Und seit diesem Wechsel gibt es unternehmensweit kein einziges Excel Sheet mehr.

Data Lake outcome

Nico: Das ist ein super Statement, ich habe ähnliches schon von anderen Geschäftsleitungen gehört. Dieter Zetsche von Daimler beispielsweise: Es gibt diese berühmte Pressekonferenz, bei der Zetsche von einem Reporter gefragt wird, ob Daimler denn schon Big Data Technologien einsetzte. Zetsche schaut zu seinem IT-Experten, der schüttelt den Kopf, und Zetsche sagt daraufhin „Ab morgen.” Damit war klar, dass vom Vorstand der Weg frei ist. So kann man zukünftig auch einfacher mit Prozessen brechen. Denn neue Daten zu sammeln oder bestehende zusammenzuführen, ist eines der klassischen Probleme, das man bei Big Data am Anfang hat: Niemand möchte seine Daten herausrücken, man muss unzählige, wohlgehütete Silos aufbrechen. Somit ist die Unterstützung vom Management notwendig, um das um- und oft auch durchzusetzen. Aber sobald man die dann hat, kann man schnellFortschritte sehen und neue Potentiale nutzen.

Fabian: Findest du also, dass es dann auch einfacher ist, wenn man diesen Paradigmen mit einem Knall einleitet? Es ist sehr viel einfacher mit einer neuen Abteilung neue Prozesse zu definieren, als aus einer alten Abteilung heraus zu versuchen, jetzt etwas Neues zu starten.

Nico: Ich glaube nicht, dass ein Big-Bang-Ansatz an dieser Stelle funktioniert. „Think big, start small“, das ist meiner Erfahrung nach eher der Ansatz. Aber nichts desto trotz braucht man eben die Unterstützung vom Management, um überhaupt starten zu können.

Fabian: Das heißt, die hybride Architekturen haben eigentlich nicht die Hybris, sondern eher die Demut zu sagen, was seit mehr als 20 Jahren gemacht wurde, können wir nicht auf einmal schaffen und erst recht nicht abschaffen…?

Nico: Ja, das ist ein guter Punkt, definitiv. Wir stehen hier auf sehr vielen Schultern und bauen auf die Arbeit auf, die schon im Unternehmen getan wird. Nur bieten wir einfach noch mehr an. Die klassischen Fragen werden nach wie vor beantwortet, aber durch die größeren Datenmengen stellen sich durch Big Data neue Fragen. Und die kann man mit dem klassischen DWH nicht mehr abdecken: Ich brauche neue Systeme, ich brauche neue Analysemöglichkeiten, um das zu gewährleisten. Und das machen wir mit dem Data Lake.

Fabian: Ich musste gerade an ein 4D Kino denken: Bild und Ton bleiben gleich, es wird nur erweitert. Und das was gut ist, bleibt gut, man macht nur eine neue, vierte Dimension auf.

Nico: Ja, dieser Vergleich passt sehr gut.

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Über den Autor

Nach seinem Mathematikstudium an der Universität Konstanz, mit der Vertiefung Finanzökonomie, war Fabian von 2016-2018 als Consultant für Big Data Themen bei Woodmark beschäftigt. Seine Schwerpunkte lagen in der Report-Entwicklung mit Tableau Desktop und im Data Science Bereich. Darüber hinaus konzipierte und hielt Fabian in diesen Bereichen zahlreiche Schulungen und Vorträge bei Kunden und auf Fachkonferenzen.

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